Jamey – Das Kind, das zuviel wusste (Jonathan Kellerman)

August 3, 2008

Jamey – Das Kind, das zuviel wusste

Bearbeitete Fassung des Romans „Over The Edge“ von Jonathan Kellerman.

Ein Hörbuch von Lübbe Audio.
Gelesen von Reent Reins.

Umfang: 6 Audio-CDs.
Erstveröffentlichung: 2008.
Laufzeit: ca. 465 Minuten.
ISBN-Nummer: 978-3-7857-3524-4.

Inhaltsangabe des Verlags:

Der siebzehnjährige James leidet unter Wahnvorstellungen. Verzweifelt wendet er sich an den Psychologen Alex Delaware, doch bevor der ihm helfen kann, ist Jamey verschwunden. Gefunden wird er schließlich an einem Tatort – neben zwei schrecklich zugerichteten Leichen und mit einem Messer in der Hand. Delaware versucht, James Geheimnis zu ergründen und merkt viel zu spät, daß er in ein Wespennest gestochen hat…

Rezension von Ronny Schmidt:

Er ist Kinderpsychologe, der zu den angesehensten psychologischen Beratern des Kammergerichts von Los Angeles zählt und Fachbücher veröffentlicht.
Fachbücher? Nicht nur. Er ist zudem Autor bereits zahlreicher Kriminalromane, der bereits zu Beginn seiner literarischen Karriere mit dem Edgar Allan Poe Award und dem Anthony Award ausgezeichnet wurde und auch die New York Times frohlocken und zu einem Statement „Kellerman weiß, wie man Leser süctig macht“ hinreißen ließ. Zu recht, wie die vorliegende Produktion beweist.

In „Jamey – Das Kind, das zuviel wusste“ wird der Hörer mit einer in Populärkrimis eher vernachlässigten Art „Detektiv“ in einen Strudel aus Habgier, Macht und regelrecht erschreckendem Moralverfall geschickt. Ohne etwas von der Handlung verraten zu wollen, fragt man sich, wieviel unmenschliche, verstörende Schiksale Kellerman gesehen haben mag, um eine derart erschreckende, indes (leider) denkbare Handlung zu ersinnen.

Kellerman ist kein Freund aalglatter, fehlerfreier Charaktere. Zumindest fast. Neben der Ausnahme des noch etwas zu „glatten“ Psychologen Alex Delaware etablierte er hier einen homosexuellen Polizisten zu einer der Hauptfiguren – und das bereits 1987. Diesen baut er allerdings nicht als „Klischee-Tunte“ auf, sondern als dreidimensionalen Charakter.
Selbiges gilt für die Charakterisierung Jameys. Hier zahlt sich Kellermans berufliche Erfahrung und sein Wissen aus: Das Abdriften in den Wahnsinn des Jungen gelingt schmerzlich überzeugend. Man erfährt die Hintergründe, die Anfänge und bekommt den weiteren Verlauf fundiert und überzeugend vermittelt, so daß sich auch der Charakter Jamey nicht als Klischeeinkarnation entpuppt, sondern als komplexe Figur, die zwar größtenteils den Szenen absent ist, gleichsam eine Art „subtile Dauerpräsenz“ vermittelt und den Hörer am Ende nicht unbedingt mit einem Glücksgefühl entlässt.
Einzig störend: Bei der Übersetzung schlichen sich einige Ungeschicklichkeiten ein: Ich wage zu bezweifeln, daß Alex Delaware beispielsweise tatsächlich seinen „Motor anzuündet“ und dann losfährt und eine Kassette einlegt. Obschon die Vorstellung, der Psychologe mit dem brennenden Motorblock, der durch die Straßenschluchten der Großstadt fährt, recht amüsant ist (allerdings natürlich nicht zum Grundton der Erzählung passt)…

Als Leser wurde Reent Reins verpflichtet – und für mich ist Reins nicht mehr und nicht weniger als ein absoluter „Geheimtipp“ dieses Jahres. Was er für „Jamey“ abliefert, ist schlicht außergewöhnlich. Reins dürfte den meisten 80er-Fans noch als Synchronsprecher von Don Johnson in der TV-Serie „Miami Vice“ bekannt sein, doch als Schauspieler ist er selbst natürlich zu wesentlich mehr in der Lage. Zu wieviel mehr, das beweist er hier in beeindruckender Weise. Reins spielt die einzelnen Charaktere, jede Figur bekommt eine ganz eigene Coleur, selbst Dialoge zwischen den Charakteren lassen sich mühelos verfolgen, mehr noch: Durch Reins‘ Leistung wird aus der Lesung regelrecht das vielbemühte, in diesem Fall jedoch absolut treffende „Kino für die Ohren“. Egal ob der überhebliche Anwalt, der unter einer Psychose leidende Jamey, Delawares Ehefrau, Chauffeur, Rocker, Punk – Reent Reins fackelt ein regelrechtes Feuerwerk ab und stellt sich somit selbst eine klare Empfehlung für weitere Lesungen aus.

„Jamey – Das Kind, das zuviel wusste“ entpuppt sich trotz des Alters der Story auch heute noch als packender Thriller, der durch seine nahezu perfekte Verbindung von Krimi und wissenschaftlicher Sachkenntnis, sowie durch interessante Charaktere, Wendungen und einem verdammt bösen Plot besticht. Gespielt von einem beeindruckenden Reent Reins, der mit seiner glänzenden Leistung aus dieser Lesung einen „Hörfilm“ macht, bleibt einem Krimi- und Thrillerfan eigentlich nur eine Wahl: Einlegen und dieser Achterbahn aus Wahnsinn und moralischem Werteverfall zu folgen.
Damit wäre der erste von bis dato 22 Alex Delaware Fällen in Hörform erhältlich – zudem als „Budget Titel“. Und mir bleibt lediglich die Hoffnung zu äußern, daß Lübbe Audio diese Reihe weiter im Auge behält – eine Fortführung wäre nach diesem grandiosen Erstling äußerst wünschenswert.


Jean-Christophé Grange: Das Imperium der Wölfe

Juli 1, 2008

Jean-Christophe Grangé:
Das Imperium der Wölfe

Gelesen von: Joachim Kerzel.

Das Imerpium der Wölfe. Hörbuch gelesen von Joachim Kerzel. Erschienen bei Lübbe Audio, 2008.

Inszenierte Lesung.
Umfang: 6 Audio-CDs.
Erschienen bei Lübbe Audio, 2008.

Als im Pariser Türkenviertel drei unglaublich grausame Morde an
rothaarigen Frauen geschehen, tritt Inspektor Paul auf den Plan.
Was zunächst wie die Tat eines wahnsinnigen Serienmörders wirkt,
steht schon bald in Zusammenhang mit der türkischen Mafia.
Bei den Opfern handelt es sich offenbar um »Fehlgriffe«, denn es
ist eine ganz bestimmte Frau, auf die es der Mörder abgesehen hat …

Rezension von Ronny Schmidt.

Bereits vor einigen Jahren schlüpfte Joachim Kerzel stimmlich in die Rolle des Hardcore-Cops im Ruhestand, Luis Schiffer. Damals als Synchronstimme von Jean Reno, kehrt er hier nun zurück in die bizarre Welt aus Wahnsinn, politischem Verschwörungsthriller und serie noir.
Die Vorlage von Grangé startet realtiv zäh, bedingt durch das Aufbauen zweier Handlungsstränge, die im weiteren Verlauf natürlich miteinander verwoben werden. Auf der einen Seite reaktiviert ein junger Polizist einen extrem brutalen, wie auch zwiespältigen Ex-Cop, auf der anderen Seite ist eine junge Pariserin auf der Suche nach der Quelle ihrer Amnesie und den Gründen ihrer immer extremer werdenden Wahnvorstellungen.
Letzteres verläuft anfangs sehr langatmig, für meinen Geschmack *zu* langatmig. Hat man jedoch diese „Startschwierigkeiten“ überwunden, legt die Handlung an Tempo zu und man fühlt sich alsbald wieder regelrecht „heimisch“ in Grangés düster-brutaler Welt der Beklemmung.

Einziges weiteres Manko: Grangé baut neben dem Charakter der Anna Aimes sein „dynamisches Duo“ auf: Zwei Cops, die sich gegenseitig brauchen, aber bei denen man nie weiß, ob und wer wen eventuell verlädt. Und auf einmal spielen beide keine Rolle mehr? Ok, bei einem ist es nachvollziehbar, bei Nr. 2 indes wirkt es durchaus befremdlich, frei nach dem Motto: „Huch – war da noch jemand? Naja, egal.“
Inszenierte Lesung – da hat der geneigte Hörer natürlich direkt die von Lübbe Audio selbst gelegte Meßlatte „im Ohr“, doch auch hier braucht es einige Zeit, bis man sich „warmgelaufen“ hat. Setzte man beim „Herz der Hölle“ oder besonders beim „Flug der Störche“ auf akzentuierenden Einsatz von Musik und Effekten, so aast man zu Beginn regelrecht mit der Musik rum. Ellenlang wummert düstere Musik durch die Pathologie, akzentuiert nicht, sondern „ertränkt“ Szenen regelrecht.
Doch wie auch bei der Handlung, steigert man sich hier enorm. Zwar toppt man keinesfalls „Das Herz der Hölle“ oder den mit dem Ohrkanus als beste Lesung 2007 ausgezeichneten „Flug der Störche“, doch viel fehlt nicht um erneut in dieser erstklassigen Liga zu spielen.
Joachim Kerzel als Erzähler – was soll, oder besser: kann man noch schreiben, was nicht schon zig mal geschrieben und gesagt wurde? Kerzel ist ein Stimmmeister, ein Virtuose, der die unterschiedlichsten Stimmungen und Atmosphären allein Kraft seiner unvergleichlichen Stimme greifbar und zu einem Hörerlebnis macht.

„Das Imperium der Wölfe“ macht da keine Ausnahme: Kerzel ist und bleibt ein Gigant, der auch dieses Hörbuch einmal mehr zum Erlebnis macht.

Fazit: Auf Grund der Vorlage und der inszenatorischen „Warmlaufphase“ nicht so stark wie „Das Herz der Hölle“ und „Der Flug der Störche“, aber für Fans des französischen Thriller-Meisters allemal eine Empfehlung.


F. Paul Wilson: Handyman Jack – Schmutzige Tricks (gelesen von Detlef Bierstedt)

Juli 1, 2008

F. Paul Wilson:
Handyman Jack: Schmutzige Tricks

Handyman Jack - Schmutzige Tricks. Hörbuch gelesen von Detlef Bierstedt. Erschienen bei LPL Records, 2008.

Gelesen von: Detlef Bierstedt
Regie, Produtkion & Dramaturgie: Lars-Peter Lueg
Schnitt, Musik & Tontechnik: Andy Matern
3 Audio-CDs | ungekürzte Lesung
Erschienen bei LPL Records, 2008.

Wenn der Abfluß mal verstopft ist, sollte man Handyman Jack lieber nicht rufen.
Jack repariert nämlich andere Sachen: Probleme, mit denen sonst niemand fertig wird. Er kümmert sich für gutes Geld darum, daß Unrecht bestraft wird.
Dabei verlässt er sich auf eine Kombination aus Können und Dreistigkeit.
Handyman Jack ist ein Held – aber auch ein Rätsel. Er lebt im Untergrund.
Niemand kenn seine Identität. Jack verkörpert eine tödliche Mischung aus
„Zorro“ und Bruce Willis.

Rezension von Ronny Schmidt

Wenn Stephen King und Dean Koontz nahezu unisono auf ein Werk regelrecht abfeiern, dann hat dies durchaus Signalwirkung. Wenn sich King zudem noch als „Präsident des Handyman Jack Fanclubs‘ zu Lobeshymnen hinreißen lässt und Koontz die Figur von F. Paul Wilson als „eine der originellsten und faszinierendsten Figuren zeitgenössischer Literatur“ beschreibt, dann sollte man vielleicht mal mehr als nur ein Auge oder ein Ohr riskieren.

In der Tat, die Geschichte um das „Phantom“ Jack zieht einen von der ersten Sekunde an in ihren Bann. Wilson schafft es, den Hauptcharakter nebst seiner Fähigkeiten, aber auch seiner liebenswerten Spleens in packenden Geschichten agieren zu lassen, die Thrillerunterhaltung mit, insbesondere in «Zwischenspiel im Drugstore» vorhandenem, triefend schwarzem Humor verquicken, daß es einem Quentin Tarantino zu Ehren gereichte. Jack selbst kommt dabei wie eine Kreuzung aus Ein-Mann-Version des „A-Teams“ und John McClane daher.
Die Stories sind hart, schnell, spannend und „pulp“. Wilson hetzt seinen Hauptcharakter durch irrwitzige, teils geradezu abstruse Situationen, gesatattet ihm „Macken“ wie die alljährliche Kranzniederlegung auf dem Empire State Building zu Ehren King Kongs oder Shurikentraining mit Kakerlake – und all dies ohne daß dieser scheinbare Widerspruch zwischen  Suspense und Humor negativ zu Buche schlägt, im Gegenteil: Es zeichnet gerade die Einführung aus und passt perfekt in die Welt des titelgebenden „Handyman“.

Handlungstechnisch spielen sich drei Geschichten in diesem Hörbuch ab, alle drei gänzlich unterschiedlich und zu keinem Moment auch nur ansatzweise langweilend. Diese schräge Tour de force scheint auch Erzähler Detlef Bierstedt zu gefallen, denn mit hörbarem Spaß an dieser skurilen Figur agiert er, wie ich ihn bislang noch nicht als Erzähler erlebte. Nicht distanziert, sondern“ mittendrin“, Bierstedt spielt die unterschiedlichen Figuren, verleiht ihnen eine jeweils passende Coleur und reißt den Hörer von Anfang an mit in die Welt des Autors und die irrwitzigen Episoden um den Titelcharakter. Detlef Bierstedt liefert hier eine in jedem Punkt grandiose Erzählung ab, bringt genau die richtige Portion augenzwinkernder „Unernsthaftigkeit“ ein, die zu den harten und ja, auch durchaus brutalen Thrillparts den für Pulp typischen Gegensatz bildet und die man wunderbar hätte überspitzen können.
So gelingt Bierstedt jedoch die Wanderung auf diesem äußerst schmalen Grat zwischen reinem Thrillermodus und dem schwarzen Humor Wilsons auf brilliante Art und Weise.

Mit „Handyman Jack“ lässt LPL Records eine neue und äußerst gelungene Hörbuchreihe auf den Markt los, die sich wie Tarantinos Filme gewohnten Konventionen verschließt, dafür jedoch als völlig (positiv) irre Spielwiese mit interessanten Charakteren, einer ordentlichen Portion Härte und nicht zuletzt mit packenden Geschichten und einer Prise Augenzwinkern erfrischend anders und unkonventionell daherkommt.
Thrillerfreunde im Gesamten und „Pulp“-Liebhaber im Besonderen kommen an dieser Reihe nicht vorbei. Jack rockt!